Heute ist Tag 30 mit meinen Antidepressiva. Und #earthhour. Also Licht aus und warmes Kerzenlicht an. (Netbook auf Akkubetrieb zählt auch, oder?)
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In den letzten 30 Tagen ist viel passiert; sowohl bei mir als auch in der Welt. Zur Zeit sind vermutlich sehr viele Menschen psychisch belastet. Isolation und gezieltes aber doch eher ungewolltes allein sein ist anstrengend für alle. All die, die nicht zu Hause bleiben dürfen, ist jeden Tag die Angst der Infektion da, die vermutlich auch kein Zuckerschlecken ist. Viele haben finanzielle Ausfälle und starke Engpässe zu befürchten und alle sind mit der aktuellen Situation überfordert. Merkt euch dieses Gefühl und denkt daran, wenn ihr nicht verstehen könnt, wie es psychisch kranken Menschen geht. Depressionen fangen dich in dir selbst. Du willst so viel machen, aber du kannst nicht. Du glaubst, dass alles um dich rum dir schaden will, sobald etwas schief läuft. Du glaubst, dass Menschen dich nicht mögen, weil sie ein paar Tage nicht mit dir reden und nicht auf Nachrichten antworten, erst recht nicht von selbst schreiben. Obwohl sie online sind. Dein Selbstwertgefühl sinkt. Die Freude an fast allem genau so. Du fühlst dich isoliert und nicht dazugehörig, obwohl du vielleicht einen tollen Job, tolle Freunde, eine liebe Familie und die Jugendliebe als Verlobten hast. You just don’t feel worth it. Dir fällt die Decke auf den Kopf, aber du kannst einfach nicht raus gehen. Motivation sinkt. Weil, wozu eigentlich?
Kopf aus. Herz an. Man muss versuchen sich selbst zu mögen. Nett sein. Zu sich selbst nicht zu kritisch, nicht so streng. Man muss wieder an sich glauben lernen. Das alles ist kein Ding von zwei Wochen (ich bin bei Tag 30 mit medikativer Hilfe. Davor habe ich schon viele Jahre gekämpft). Doch das alles funktioniert nur, wenn auf ein „Hey, ich habe Depressionen, mir geht’s echt nicht gut“ nicht mit „Ach komm schon, du musst nur mal wieder raus, reiß dich einfach mal bisschen zusemmen, musst auch mal positiv denken!“ geantwortet wird. Es ist nicht so, dass Menschen mit Depressionen einfach nur keine Lust haben oder dass wir nicht positiv denken können. Im Gegenteil. Ich, zum Beispiel, weiß, dass ich einen guten Job hatte, einen wundervollen Sohn habe, meine Wohnung wird Stück für Stück besser und gemütlicher, ich habe einen FANTASTISCHEN Verlobten! Und trotzdem – es geht mir beschissen. Besser gesagt „ging“ . Ja, so richtig. So beschissen, dass ich wollte, dass etwas passiert. Ich habe Gas gegeben. Habe beschleunigt und war fest entschlossen, die Kurve zu ignorieren. Und wenn es mich umbringt? – ist das dann halt so. Who cares?!
Ich habe gebremst. Die Notbremse gezogen. Weil ich nicht alleine in diesem Auto saß. Mein Sohn hat mir vielleicht in diesem Moment das Leben gerettet. Ich bin nicht alleine.
Auf die Aussage „Hey, ich habe Depressionen, es geht mir nicht gut“ sollte mit „OK, kein Ding, ich ruf dich morgen mal an, mach dir nen Tee und versuch zu schlafen“ geantwortet werden. Oder mit „OK, kein Ding, dann komm ich vorbei und bring Eis/Pizza/Frühstück/Popcorn/Bier mit. Bis gleich.“ Ich verstehe, dass andere nicht verstehen, wie es mir geht. Es lässt sich für mich auch nur sehr schwer beschreiben oder erklären. Online-Lexika haben platte Definitionen, die die Symptome erklären, aber nicht das eigentliche Gefühl. Ich würde es euch gern zeigen können, damit ihr es verstehen könnt, auf der anderen Seite möchte ich nicht, dass sich auch nur irgendjemand so fühlen muss.
Ich bin sehr froh, dass ich die Notbremse selbst gezogen habe. Dass meine Selbstreflexion mittlerweile so geschult ist, dass ich es selbst in letzter Sekunde erkannt habe. Dass ich den Vorfall meiner besten Freundin geschrieben habe und dadurch auch den Mut fassen konnte es auch meiner Therapeutin zu sagen, die alles daran gesetzt hat, dass ich schnell einen Termin beim Psychiater bekomme, weil es höchste Zeit für medikative Unterstützung war. My fight has been fought for too long just by myself. Ich habe eine tolle Therapeutin. Wie viele da draußen habe keine. Wie viele da draußen verstecken Gedanken und Gefühle weil es nicht „schick“ ist, weil es nicht in das Bild der Ach so perfekten Gesellschaft passt. Weil wir alle auch noch mit Fieber auf Arbeit rennen. Weil einfach nicht gesehen wird, dass ein Mensch krank ist, krank sein darf und Ruhe, Zeit und Kraft zum gesunden brauch. Wie oft kommt zu so einer schon beschissenen Depression noch ein Burnout dazu, weil wir uns trotz reduzierten Kraftreserven kaputt arbeiten.
Ich werde es nicht mehr verstecken. Ich stoße damit auf Kritik. Bekomme blöde Sprüche ab. Fast jeden Tag. Aber wenn niemand anfängt, wird sich nie etwas ändern. Meine Reichweite ist vielleicht gering. Wenn es hoch kommt sehen 150Menschen meine Stories auf Instagram, aber das reicht mir schon. Wenn ich mit meiner Geschichte schon 10 Leuten helfen kann, hat sich die Mühe gelohnt.
Spread the word. Seid aufmerksam, fragt euch einmal mehr, warum eine Person wie reagiert hat. Denkt immer daran, dass ihr nicht wissen könnt, was diese Person alles erlebt hat. Auch wenn ihr sie vielleicht seit 10 Jahren kennt. Und wenn ihr es nicht versteht, dann FRAGT VERDAMMT NOCHMAL NACH, meine Fresse. Lernt wieder miteinander zu reden. Ich muss es auch wieder lernen. Ich muss sehr vieles wieder lernen. Vor allem wie man lebt.
Thanks for listening. Namasté.
Lia aka
Rike

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